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Dokumentationen

Eine Dokumentation ist das Gegenteil von Science Fiction. Oder deren Ursprung

Sonnenfinsternis 1999

Eine analoge Serie mit einer etwas chaotischen Geschichte der Entstehung der Bilder!


Wie kam es zu diesen Bildern der Sonnenfinsternis, anno 1999, am Elften des August?

Ich schnappte mir mein Motorrad, das zu diesem Zeitpunkt ausnahmsweise mal funktionierte; meine alte Revueflex-Kamera im Gepäck, dazu mein einziges Stativ: ein kleines, nur und 20 cm hohes, aber feines Teil, und das 210 mm-Zoom-Objektiv mit dem Zweifach-Telekonverter. Einen Film hatte ich auch in der Kamera drin, Gott sei Dank; aber wie ich erst später merken sollte, nur einen mit 24 Bildern - und davon waren schon fünf mit irgendwas verknipst!

Von Vorbereitung auf diesen großen Augenblick also keine Spur; Hobby-Knipser eben, und ein dilettantischer noch dazu.
Wenn Ihr aber meine Reiseberichte gelesen habt, dann wisst Ihr, dass das zu mir gehört, weil immer irgendetwas schief gehen muss!

Erst als ich vor dem Mopped stand fiel mir ein, dass ich ja gar nicht wusste, wohin ich eigentlich fahren soll! Aber na ja, es waren ja noch gut zwei Stunden Zeit bis zum Zeitpunkt X.

Während der wie immer sehr langen Prozedur des Anlegens der Moppedklamotten hatte ich eine Erleuchtung: Alleine muss ich sein, einsamer Wolf in einsamer Natur bei diesem grandiosen Schauspiel, das mir Sonne und Mond an den Himmel zaubern wird!
Bloß: wo nur?
Irgendwo weiter südlich sollte es sein, weil die Chancen über Ludwigshafen und der näheren Umgebung auf einen klaren Himmel von den Wetterfröschen als recht klein eingeschätzt wurde.

Also los nach Süden - nur: wohin und wie weit überhaupt?

Ich war schon einige Kilometer gefahren als es mir dämmerte, dass ich gar nicht bewusst gefahren war. Ha! Das isses! Lass dich doch wie immer von deinen Instinkten leiten! (Na, jedenfalls, wenn es ums Fahren geht). Und schon befand ich mich auf dem Weg in Richtung Speyer, zwischen den Wäldern hindurch, auf der Suche nach einem lauschigen Plätzchen.

Nix, weit und breit nix, was mich inspirierte. Und wenn doch mal was Lauschiges zu sehen war, dann versperrten natürlich die Bäume die Sicht in den Himmel.
Weiter und weiter, über die Dörfer oder besser an diesen vorbei. Überall an den Straßenrändern, an Feldwegen, an oder sogar in den vielen Äckern: Schaulustige mit Caravans und Liegestühlen und Grill und Bierfässern. Igitt! Nix für mich. Aber: alle glotzten schon nach oben, und ich dann auch: sollte ich meinen Termin mit der Sofi verpassen?

Es sah so aus, dass ich nicht mehr viel Zeit hätte; und eine Uhr hatte ich natürlich nicht dabei, ich Penner. Ich trug ja nie eine. Jetzt kam doch eine gewisse Unruhe in mir auf, die man landläufig auch einen kleinen Anfall von Panik nennt...

In einem kleinen Ort hatte ich plötzlich das Gefühl, hier die richtige Stelle gefunden zu haben: Neben einem Supermarkt gab es einen kleinen Platz, umgeben von Büschen, der recht leer war von Menschen und anderem störenden Zeugs. Ich hab diese Stelle kurz inspiziert, zum Himmel hochgeblickt und festgestellt, dass ich in der Tat nicht mehr viel Zeit hatte! Dennoch: dieser Platz war auch nicht das Gelbe vom Ei. Mein Puls hat sich ob dieser beiden Feststellungen noch etwas beschleunigt...
Bis ich gemerkt habe, warum ich genau an dieser Stelle anhalten musste: Nicht Instinkt und Intuition waren es, die mich zum Bilderschießen hierher geführt hatten, sondern mein Magen! Und der wiederum nicht zum Fotografieren, sondern weil er dringend Proviant brauchte aus diesem Supermarkt... (Futter hatte ich natürlich vor lauter Hektik auch keines eingepackt, ich dilettantischer, laienhafter Hobby-Knipser ohne Sinn und Organisation.)

Der kleine Panikanfall von vorhin erweiterte sich nicht unerheblich: erstens, weil ich schon anfing zu zittern vor lauter Hunger, und zweitens, weil der Himmel sich immer mehr zu zog...
Schaff' ich's noch? Für beides, meine ich: Futter und Sofi?

Rein in den Laden, ein Päckchen Wienerle gepackt und zwei Brötchen. Draußen: gierigste Befriedigung meines Magens und bange Blicke nach oben - die Zeit wird knapp... und der Himmel bewölkt!

Ja spinn' ich denn? Urplötzlich, nachdem mein Magen die ersten Nährstoffe an Hirn und Intuition transportiert hatte, sah ich die Lösung vor mir: Ein kleiner Ort ganz in der Nähe, an dessen Rand direkt am Wald ein kleiner Kräutergarten für Anschauungszwecke gepflegt wurde; wir waren dort schon einige Male zum Pilzesammeln in diesem Wald. Dort hat es auch einen Unterstand mit Holzbänken und allem Komfort, den ein müder Wanderer braucht...

Einfach genial, dieser halbwegs gefüllte Bauch! Dafür wurde er auch zwei-, dreimal ganz lieb getätschelt... Sofort entschloss ich mich, diesen Bauch erst weiter zu versorgen, wenn ich am Ziel angekommen bin; für den Moment hatte er seine Schuldigkeit getan. Ich schwang mich hurtig aufs Mopped und düste ab.

Einige Kilometer weiter sattelte ich wieder ab, genau an diesem feinen Kräutergärtchen, und beäugte meine "Werkstatt":

In der nach vorne offenen Holzhütte standen zwar Bänke und ein Tisch, aber alle waren soweit unter dem Dach, dass ich mit der Kamera keine Chance auf die Sonne hatte. Also setzte ich das kleine Tisch-Stativ auf den Boden und lugte mal durch, was sich als äußerst schwierig gestaltete: Ich konnte kaum durch den Sucher sehen; nur wenn ich mich platt auf den Boden legte konnte ich den Kopf soweit unter die Kamera stecken, dass ich wenigsten halbwegs die Richtung anpeilen konnte.

Da ich natürlich auch keine spezielle Sonnenfinsternis-Brille mehr ergattert hatte - (habe ich eigentlich schon meinen Dilettantismus erwähnt?) -  fiel diese Aktion noch viel schwerer aus. Das geniale, flexible Stativ hätte ich auch irgendwo an einem Ast oder einem Lattenzaun oder so festklemmen können, aber die Zeit gestattete mir keine Suche mehr nach einem günstigeren Schuss-Standpunkt als der auf dem Boden. Und außerdem fanden meine flinken Blicke sowieso nichts dergleichen.

Für einen Sekundenbruchteil ergoss sich die Lichtflut der Sonne durch das Objektiv in mein Auge - das war so heftig, dass ich nach einer anderen Möglichkeit suchen musste. Kurzerhand legte ich den aufgeschlagenen, schwarzen Deckel des Tankrucksacks darunter, und so konnte ich durch die darauf fallende Helligkeit bestimmen, dass die Sonne tatsächlich im Ziel stand.

Ich bewegte die Kamera einige Male hin und her, und tatsächlich konnte ich Helligkeitsunterschiede feststellen, wenn das Licht durch das Objektiv und den Sucher auf das schwarze Plastik schien. Vage zwar und keinesfalls so scharf, dass sich die Sonne abgebildet hätte, aber es musste einfach genügen!

Solchermaßen blind gezielt harrte ich der Dinge, die da sehr bald kommen würden, und gönnte mir einen Augenblick für die Umgebung: hinter mir die Hütte und der Wald, vor mir - außer dem Kräutergärtchen - Felder und einige kleine Häuser mit roten Ziegeldächern; diese waren aber so weit entfernt, dass sie meine Idylle nicht störten. Weit und breit kein Mensch und auch keine menschlichen Geräusche, nur Vogelgezwitscher und ein entferntes Bellen eines Hundes. Genau das war es, wonach ich gesucht hatte! Toller Bauch, der hiermit wieder einen Tätschler genießen durfte...

Bange Blicke nach oben, immer sehr vorsichtig nur mit fast geschlossenen Augen - und das auch nur sehr kurz - ließen mich erkennen, dass die Wolken drohten, mir das Schauspiel zu verhüllen! Jetzt musste es also losgehen mit der Knipserei! Zum Glück hatte ich wenigsten an den Drahtauslöser gedacht, ansonsten wäre die Sache noch ein herbes Stück schwieriger geworden.

Zwischen den einzelnen Bildern hab ich immer wieder die Blende und die Verschlusszeit verstellt und hoffte, dadurch wenigsten ein, zwei einigermaßen erkennbare Bilder zu ergattern. Dabei musste ich auch noch aufpassen, dass ich bei den Einstellungen ja nicht das Stativ verrücke... Zum Verrücktwerden, glaub's mir!
Zudem konnte ich auch nicht wahllos drauf los knipsen, ich musste ja mit den Bildern haushalten - womöglich ging mir der Film aus, bevor der Höhepunkt am Himmel statt fand? Ein weniger blöder Knipser hätte zumindest einen leeren 36er Film eingelegt, einen Zweitfilm als Sicherheit im Rucksack gehabt oder auch eine zweite Kamera mitgenommen...

Ich hielt die Blicke immer knapp über den Feldern, um nicht geblendet zu werden - und plötzlich spürte ich, dass es gleich soweit sein musste: die Natur um mich herum hielt den Atem an!

Innerhalb von Sekunden verstummten die Vögel, das ferne Bellen des Hundes ging über in ein ganz kurzes Jaulen, dann war auch aus dieser Richtung nur Stille zu hören. Und es wurde richtig kühl!
Ich hatte das Gefühl, dass selbst die Ameisen um mich herum in Andacht gefallen waren... Und: hatten einen Augenblick zuvor nicht noch die Blätter in den Bäumen geraschelt?

Just in dem Moment, als der Mond begann, seine ersehnte Gefährtin zu bedecken, riss die Wolkendecke etwas auf: Ich war sicher, das war ein Zeichen für meine Ehrfurcht und meine tiefen Gefühle, die hier in der Einsamkeit ein Maß annahmen, die unter den Menschenansammlungen, die ich unterwegs gesehen hatte, nicht möglich gewesen wären...

Ich fühlte mich völlig Eins mit der Natur um mich herum, spürte mit jeder Faser meines Körpers, meines Geistes und meines Herzens den mächtigen Kosmos, seine überwältigende Schönheit; in diesen Momenten fühlte ich mich tatsächlich als Bestandteil der mich umgebenden Natur und damit auch integriert in etwas Größeres, Gewaltiges, Faszinierendes. Hätten diese Momente länger angedauert, ich wäre unweigerlich in tiefste philosophische Gedanken verfallen...
So aber zwang ich mich vorsichtig, noch wenige Male den Auslöser der Kabelverlängerung zu drücken, ganz sachte, ohne diese Gefühle in mir zu verletzen.

Dann war der Film aus; besser gesagt, beide Filme: der in der Kamera und der auf der Großleinwand über mir.

Ganz langsam erwachte die Natur wieder zum Leben, und ich mit ihr: Zögerlich setzten die Vögel ihren Gesang fort oder begannen einen neuen; die Bäume raschelten aufs Neue mit den Blättern, die Ameisen marschierten dort weiter, wo sie in Andacht verfallen waren; Insekten, die sich am Boden oder unter Blättern versteckt hatten, torkelten erneut lebensfroh durch die wärmenden Sonnenstrahlen; der Hund von vorhin schickte eine vorsichtig jaulende Anfrage in seine neu entstandene Welt; und ich, der kleine, gefühlswallende Mensch, saß noch lange auf dem Boden, um diese erhebenden Gefühle für die Ewigkeit zu konservieren...

Wie ich später erfuhr, hatten alle im Umkreis von vielen Kilometern das Pech, dass in diesen bewegenden Momenten die Wolken ihre Aus- und Ansichten verschleierten! Auch der Fotograf der örtlichen Zeitung im 20 Kilometer entfernten Ludwigshafen erntete nur hübsche Wolkenbilder; wie alle anderen, die ich - sensationslüstern und grillfeiernd - auf meinem schweren Weg hier in diese Enklave belächelt hatte... Und mein Nachbar von obendrüber, der mit Freunden feiernd irgendwo anders unterwegs war, erzählte, dass gerade in DEM Moment die Wolken vor ihre Gesichter gezogen waren!

Warum, so frage ich mich heute noch, hatte ausgerechnet ich auf meinem einsamen Plätzchen das Glück, dieses Spektakel sehen und auf meinen Bildern festhalten zu dürfen (auch wenn diese nicht perfekt sind)? Und so gehörte ich zu den wenigen von einigen Hunderttausend Menschen in meiner Umgebung, die sehen, erleben und sehr tief fühlen konnten bei einer Vorführung, die uns in diesem Land nicht oft von der Natur geboten wird... 

DEN perfekten Ort hatte ich erwischt! Und dafür gehört mein tiefer Dank meinem Bauch und meiner Intuition. Oder meinem Bauchgefühl, das man nie unterschätzen sollte.
Ihr könnt ruhig auch mal auf euren Bauch hören, nicht nur, wenn er Hunger meldet!


Völklinger Hütte

Auf dieser Fotoseite habe ich lediglich einige wenige Bilder von dieser langen Tour aufgenommen. Wer sich für diese Völklinger Hütte und dem gesamten Ausflug näher interessiert, schaut bitte HIER in ein neues Fenster.